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Mein liebster Krimi: Die Kalle-Blomquist-Reihe

Obwohl ich schon länger kaum noch Krimis lese, sondern hauptsächlich Science Fiction und Mystery/Horror, hat mich die Frage nach meinem Lieblingskrimi in Susanne Pohls Blogparade „Mein liebster Krimi“ sofort zum Nachdenken inspiriert. Denn eine Zeitlang habe ich viele Krimis gelesen. Sehr viele. Britisch-skurrile Krimis. Pessimistische skandinavische Krimis. Krimis auf sonnigen Karibikinseln, in der norddeutschen Provinz, in Manhattan. Eine alte australische Reihe, die leider sehr schlecht gealtert ist. Krimis, die im Mittelalter spielen und solche, die in der Zukunft spielen. Polizist*innen, Privatdetektive, College-Professoren, Mönche und sogar Schafe als Ermitter*innen. Welcher von den vielen ist mein Lieblingskrimi?


Die Gesamtausgabe von Astrid Lindgrens Kalle-Blomquist-Reihe vom Oetinger Verlag. Das sonnengelbe Hardcover zeigt einen gezeichneten, laufenden Jungen mit einer Lupe in der Hand. Unten im Hintergrund ein rotes Holzhaus und eine weiße Kirche.
Mein liebster Krimi sind eigentlich drei: Die Kalle-Blomquist-Romane von Astrid Lindgren!

Durch den kleinen Anstupser in Susannes Einleitung kam ich auf eine Reihe, die mir über Jahrzehnte hinweg in Erinnerung geblieben ist: Astrid Lindgrens Reihe um Kalle Blomquist!  Unter all den vielen tollen Kriminalromanen sind das meine Herzenslieblingsspecialkrimis. Ja, es sind Jugendbücher! Vielleicht kein Wunder, dass mein eigener Debütroman „Weltenfäden“  Jugendfantasy ist, wenn es doch so einige Jugendbücher gibt, die mich immer noch begeistern.

 

Die Reihe besteht aus drei Büchern:

Kalle Blomquist – Meisterdetektiv (schwedische Originalausgabe 1946)

Kalle Blomquist lebt gefährlich (1951)

Kalle Blomquist, Eva-Lotta und Rasmus (1953)

 

Entdeckt habe ich sie als Kind in unserer Gemeindebücherei und öfters ausgeliehen. Und später, als Erwachsene, selbst gekauft. Es geht um den im 1. Band 13-jährigen Kalle Blomquist, der davon träumt, ein Meisterdetektiv zu sein. Aber in der schwedischen Provinz ist der Sommer leider friedlich und eher langweilig – denkt er! Zusammen mit seinen Freunden Eva-Lotta und Anders schliddert er dann doch immer wieder in richtige Kriminalfälle hinein. 

 

Kalle Blomquists Abenteuer sind mehrmals verfilmt worden, ich habe als Kind die schwedischen Schwarzweißfilme (in der Wiederholung Ende der 1970er Jahre) gesehen und genauso sehr geliebt wie die Bücher. 


Warum mich die drei Jugend-Krimis als Kind so gepackt haben und warum sie das jetzt, Jahrzehnte später, immer noch tun? Ich glaube, dafür gibt es viele Gründe. Drei der wichtigsten sind diese:

1. Die Hauptfiguren

Nicht nur für Kinder- und Jugendbücher, sondern auch für kindliche oder jugendliche Figuren in „Erwachsenenromanen“ ist das entscheidend: Ob die Autor*innen die jungen Hauptfiguren wirklich ernst nimmt. Astrid Lindgren, die Bücher für ganz unterschiedliche Altersgruppen geschrieben hat, versteht es, ihre Figuren so zu schreiben, dass man ihnen unweigerlich sehr nah ist, unabhängig vom Altersunterschied.

Ein rotes, typisch skandinavisches Holzhäuschen mit weißen Eckpfeilern und Giebel steht auf einem etwas erhöhten Grundstück, dessen Kanten mit Feldsteinen gesichert sind. Blauer Himmel, weiße Wolken, grüne Wiesen.
Der schwedische Sommer bietet die Kulisse für wirklich spannende Geschichten.

Sie geht von der Erlebenswelt von Kalle, Eva-Lotta und Anders aus – die Sommerferien in einer schwedischen Kleinstadt, Kalles Traum, Detektiv zu sein, die spielerischen Fehden zwischen ihrer und der „gegnerischen“ Jugendbande – und entwickelt daraus, in der scheinbaren Idylle, die Kriminalfälle und das Ringen um deren Lösung. Sie nimmt uns mit, zeigt uns, wo die Reaktionen der Kids sich von unseren kaum unterscheiden, aber auch, wo ihre Unbekümmertheit den Figuren ermöglicht, anders zu handeln als Erwachsene. Sie zeigt uns durch die Augen der Kinder die Schönheit der Welt in den kleinen Dingen, aber auch das Böse.

Als erwachsene Leserin bemerke ich ein gewisses Augenzwinkern, mit dem Lindgren beispielsweise auf Kalles Besessenheit vom Detektivsein blickt. Aber nie, wirklich an keiner Stelle, macht sie sich über ihn lustig. Sie nimmt 

die Jugendlichen in ihrer Gefühls- und Erlebenswelt ernst, respektiert sie und erzählt wirklich aus ihrer Perspektive und in ihrer Denkweise, mit ihrem Wissen und in ihren Worten. So wie auch Stephen King in „Es“ Kinderfiguren geschaffen hat, die mich als Erwachsene total mitnehmen.

2. Die Fälle

Verglichen mit anderen Jugendkrimis scheinen mir die Kriminalfälle, in die Kalle und seine Freunde Eva-Lotta und Anders verwickelt werden, ernsthafter und damit bedrohlicher. Das mag täuschen, aber in meiner Erinnerung waren bei Reihen wie „Die drei ??? “ oder Enid Blytons „Fünf Freunde“ die Beträge nicht ganz so hoch, die Bedrohungen nicht ganz so existenziell. Nicht umsonst sprechen zum Beispiel die „Fünf Freunde“ von Abenteuern, während Kalle, der so gerne Detektiv wäre, den Ton gleich in den ersten Zeilen des ersten Bands in Richtung Verbrechensbekämpfung verschiebt.

Die Ernsthaftigkeit der Fälle hängt für mich auch damit zusammen, dass die Reaktionen der Kinder auf die Verbrechen ungeheuer einfühlsam und tief beschrieben werden. Die Kipp-Punkte zwischen dem abenteuerlichen Spiel (manchmal auch nicht ungefährlich!) und der teilweise grausamen Realität fasst Astrid Lindgren mit großer Präzision und ebenso großer Empathie: Wenn Eva-Lotta im 2. Buch eine Leiche findet und dies nicht einfach wegsteckt. Sondern auf ihre persönliche Art zutiefst erschüttert ist und eine bewusste Anstrengung unternimmt, um mit ihrer normalen Kindheit fortfahren zu können. Wenn plötzlich echtes Gift in echter Schokolade ist, das eine der Hauptfiguren echt hätte töten können. Oder wenn eine ambivalente Figur plötzlich lebensgefährlich verletzt wird und man sich – wie die Protagonist*innen – dabei ertappt, wie man um ihn bangt.

3. Die Atmosphäre

Die schwedische Fahne, ein gelbes Kreuz auf blauem Grund, weht vor einem blauen Himmel.
So schwedisch wie "Ferien auf Saltkrokan", aber mit dunkleren Untertönen, sind die Kalle-Blomquist-Bücher

Wie in „Ferien auf Saltkrokan“, das ich auch sehr liebe, erzählt Astrid Lindgren in den drei „Kalle-Blomquist“-Bänden den schwedischen Sommer mit einer unglaublich mitreißenden Intensität und einer kindlichen Unbeschwertheit. Aber in diesem duftenden, sonnenbeschienenen Sommer lauern Verbrechen. Und durch alle drei Bände hindurch schwingt fast unmerklich ein bittersüßes Bewusstsein für die Vergänglichkeit mit. Die Vergänglichkeit der anfangs endlos scheinenden Ferien, die Vergänglichkeit des Sommers, die Vergänglichkeit der Kindheit und Jugend, die nicht zuletzt Eva-Lotta sehr bewusst wird. Und, ja, auch die Vergänglichkeit des Lebens.

So ist „Kalle Blomquist“ vielleicht ein bisschen der Gegenentwurf zu „Saltkrokan“ mit dessen noch jüngeren Protagonist*innen: ein Sommer mit genau der gleichen Energie und Intensität, aber mit anderen Abgründen darunter. 

Es gibt noch einiges, was man über die Kalle-Blomquist-Geschichten sagen könnte. Darüber, wie eindrücklich und ernsthaft Astrid Lindgren über das Spielen der Kids schreibt (so eindrücklich, dass ich damals unbedingt auch eine Geheimbande mit Schatz und Geheimsprache haben wollte). Darüber, wie es ihr auch in diesen Romanen gelingt, die stereotypen Geschlechterrollen ihrer Zeit zu vermeiden, zumindest im Hinblick auf die junge Generation. Darüber, wie Eva-Lotta sich dadurch von Enid Blytons Anne unterscheidet. Darüber, wie die Zeit, in der die Bücher entstanden sind, zu spüren ist und wie ich die entsprechend leicht gealterte Sprache schon als Kind sehr mochte. Aber das führt zu weit ...

Auf jeden Fall habe ich jetzt, als ich die drei Bücher nach Jahrzehnten wieder gelesen habe, festgestellt, dass meine Erinnerung mich nicht getäuscht hat: Diese Jugendkrimis verdienen einen besonderen Platz im Bücherregal!

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