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#Phantastober2022 - Flash Fiction im Herbst

Herbstzeit ist Geschichtenzeit! Und so kommt die Challenge von Tala Jacob, der #Phantastober2022, genau richtig. Für jeden Tag im Oktober hat sie sich ein anderes Stichwort als Inspirationsquelle ausgedacht.

Ein paar der Schreibimpulse habe ich in Flash-Fiction-Geschichten verwandelt und in diesem Artikel gesammelt. 


Tag 17: Nebel

Seenebel

Die Nordsee im Nebel, im Vordergrund bricht sich eine Welle am Strand
Seenebel

Seenebel zieht auf. Kühl, klamm und schnell. 

 

Ich gehe hinaus bis ans Ende der Mole, bis ich durch den dichten Nebel das Ufer nicht mehr sehen kann. 

 

Um mich herum ist nur noch eine Kugel wattiges Weißgrau. Die Wellen plätschern leiser als sonst.

 

Vielleicht eilt dort draußen die Pequod vorbei, an Deck kein Geräusch als das  rastlose Tock-tock-tock vom Holzbein ihres Kapitäns, auf der endlosen Jagd nach dem weißen Wal.

 

Vielleicht segelt Jack Sparrow mit seiner Black Pearl und ihrer Mannschaft von Untoten auf der Suche nach einem geheimnisvollen Schatz an der Küste entlang.

 

Vielleicht taucht ein fröhliches gelbes U-Boot aus dem Wasser auf, ziemlich überfüllt, während die Band an Bord zu spielen beginnt.

 

Vielleicht singen dort draußen die Meerjungfrauen, jede für jede andere, für mich wohl eher nicht.

 

Vielleicht ist die Welt nicht mehr da. Nur noch das Meer, der Nebel und ich.

 

Eine Möwe schreit, ein Windhauch geht, der Nebel lichtet sich. Das kleine Leuchtfeuer am Strand zeigt mir den Weg zurück.


Tag 8: Efeu

Efeu

Von Efeu umwachsenes altes Fenster
Efeu

„Und schneiden Sie auf keinen Fall den Efeu zurück“, sagte die alte Frau, als sie den Kaufvertrag unterschrieben hatten. 

„Warum nicht?“, fragte er. „Efeu ist doch …“

„Er … kommt damit nicht klar“, sagte die alte Frau.

 

Sie hatten sich auf Anhieb in das Haus verliebt. Ein kleines altes Backsteinhaus, etwas windschief, das über und über mit Efeu bewachsen war. Die kräftigen dunkelgrünen Blätter ließen nur wenig vom Ziegelrot der alten Backsteine hindurchschimmern. Von weitem hätte man das Haus für einen bewaldeten Hügel halten können. Es lag etwas außerhalb des Orts und hatte keine direkten Nachbarn, aber das machte ihnen nichts. Zum Häuschen gehörte ein großer, verwilderter Garten. Ein Paradies für Kinder, wenn sie in ein paar Jahren welche haben würden.

 

In der ersten Nacht in ihrem neuen Zuhause ließen sie das Schlafzimmerfenster weit offen. Der Efeu, dessen unscheinbare Blüten sich gerade geöffnet hatten, strömte einen schweren, fast unangenehm süßen Geruch aus. Sie schliefen beide unruhig und träumten von fremdartigen, üppig wuchernden Schlingpflanzen.

 

Die Efeuranken wuchsen so schnell, dass man fast zusehen konnte. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Triebe vor den Fenstern auftauchten. Nach ein paar Monaten waren die kleinen Fenster mit den alten Holzrahmen schon zur Hälfte verdeckt. Auch die Haustür wuchs mehr und mehr zu. Sie konnten sie nur noch halb öffnen, bevor sie von kräftigen, elastischen Efeuzweigen aufgehalten und zurückgedrückt wurde.

 

„Wollen wir nicht wenigstens die Tür und die Fenster freischneiden?“, fragte er. 

„Lieber nicht“, antwortete sie. „Es wäre doch schade um die schönen alten Ranken.“

„Ich habe noch nie gehört, dass Efeu einen Schnitt nicht verträgt“, brummte er, aber er ließ den Efeu in Ruhe.

 

Eines Tages, als er in der Stadt war und sie hinter dem Haus verblühte Rosenblüten abschnitt, fiel ihr Blick auf die Fenster zum Garten. Man konnte inzwischen kaum noch hindurchsehen. Schnell, bevor sie es sich anders überlegen konnte, holte sie eine Heckenschere aus dem Schuppen. Es war nicht leicht, die zähen Triebe durchzuschneiden. Jedes Mal, wenn eine Ranke auf den Boden fiel, schien ein Beben durch den ganzen Efeu zu gehen. Endlich waren alle Fenster frei. Er würde sich freuen. Sie warf die Zweige auf den Komposthaufen, ging ins Haus und machte sich eine Tasse Kaffee.

 

Sie setzte sich aufs Sofa und trank den Kaffee. Das Fenster stand offen, und mit der letzten Wärme des zu Ende gehenden Spätsommers kam der intensive Geruch des Efeus herein. Sie gähnte. Der Kaffee half nicht, sie war einfach zu müde. „Nur für einen kurzen Moment“, versprach sie sich selbst, als sie die Füße auf das Sofa legte und die Augen schloss.

 

Sie erwachte von einem schabenden, schleifenden Geräusch. Durch das Fenster schob sich – nein, wuchs – eine kräftige Efeuranke ins Wohnzimmer hinein. Wie hypnotisiert starrte sie auf den Zweig, der sich verblüffend schnell direkt auf sie zu bewegte. Sie stand auf und machte ein paar Schritte in Richtung Tür, doch der Efeu war schneller. Er schlang sich fest um ihre Beine und zog sie von den Füßen. Mit überwältigender Kraft schleifte die Ranke sie in einer einzigen fließenden Bewegung zum Fenster und zerrte sie hinaus. Sie schrie, bis sich ein weiterer Ast um ihr Gesicht wickelte und den Schrei erstickte.

„Wird Zeit, dass der Schutthaufen endlich wegkommt.“ Der Baggerfahrer trat gegen einen Stamm des Efeus, der über den eingestürzten Mauern des alten, verfallenen Häuschens wucherte. „Hier hat bestimmt seit Jahrzehnten niemand mehr gewohnt.“ Der Stamm bog sich zur Seite und gab den Blick auf etwas Weißes frei, das zwischen den dunkelgrünen Blättern und den rotbraunen Backsteinen wie ein Fremdkörper wirkte. Neugierig schob der Baggerfahrer einige Äste zur Seite. Tief unter den Ranken des Efeus verborgen lagen am Boden verstreut ausgebleichte Knochen.


TAg 2: "Ruine"

Am Strand

Es war ermüdend, auf dem weichen, weißen Sand zu gehen, der die Füße immer wieder wegrutschen ließ. Die beiden Kinder liefen voller Vorfreude voraus. Ihre Eltern folgten etwas langsamer mit der Strandtasche und dem Picknickkorb. Als sie auf dem höchsten Punkt der Dünen angekommen waren, lag vor ihnen der endlose dänische Nordseestrand im Sonnenschein. Einige alte Weltkriegsbunker standen, halb vom Sand vergraben, am Fuß der Dünen.

 

Im Windschatten eines der Bunker fanden sie einen geschützten Platz. Das verlassene Gebäude war abgesackt und stand schief, vom Eingang war nur noch die obere Hälfte als dunkles Loch zu erkennen. „Komm, wir erforschen den Bunker“, schlug das Mädchen vor. „Aber geht auf keinen Fall rein!“, ermahnte die Mutter sie.

 

Die Eltern breiteten die Stranddecke aus und setzten sich darauf. Die Mutter nahm ein Buch zur Hand. Der Vater blickte hinaus aufs Meer. Einige Urlauber gingen am Strand spazieren. In den Wellen spielten ein paar Kinder. Er streckte sich auf der Decke aus und schloss für einen Augenblick die Augen. Die Wellen rauschten unermüdlich an den Strand. Am Spülsaum kreischten Möwen. 

 

Eine Wolke verdeckte die Sonne, und fast gleichzeitig kam ein kühler Wind auf. Der Vater fröstelte und setzte sich auf. Die Farben von Strand und Meer wirkten jetzt viel blasser, fast sepiafarben wie auf einem alten Foto. Er rieb sich die Augen. Seine Frau saß nicht mehr neben ihm auf der Decke. Wahrscheinlich war er kurz eingenickt und sie war mit den Kindern ans Wasser gegangen. Sehen konnte er sie nicht, auch keine anderen Feriengäste.

 

Ein lautes Donnern erschreckte ihn, so laut, dass er unwillkürlich zusammenzuckte und den Kopf einzog. Er blickte aufs Meer, in die Richtung, aus der der Donner gekommen war. Ziemlich nah vor der Küste lag ein großes Schiff, ein Kriegsschiff im typischen Marinegrau. Ein Lichtreflex traf seine Augen. Ein Soldat stand an der Reling und suchte mit einem Fernglas den Strand ab. 

 

Krachendes Maschinengewehrfeuer, noch näher als das Donnern eben und so zerschmetternd laut, dass es in seinen Ohren nachhallte, riss den Vater aus seinen Überlegungen. Er sah sich nach dem Bunker um. Aus einer Schießscharte, die aufs Meer blickte, ragten mehrere Gewehrläufe in Richtung Wasser. Auf dem Dach des Bunkers – war es nicht eben noch schief gewesen? – standen zwei Soldaten in graugrünen Kampfanzügen. Sie gestikulierten mit Nachdruck in seine Richtung, und einer rief etwas in dänischer Sprache und winkte hektisch mit den Armen. Meinten sie ihn?

 

Die Wolke zog weiter, und das Licht der Sonne gab der Welt ihre Farben zurück. Der Vater blinzelte in der plötzlichen gleißenden Helligkeit. Er blickte noch einmal auf das Meer. Das Kriegsschiff war verschwunden. Um den Bunker herum kam seine Frau, ein paar Muscheln in der Hand. Auf dem abschüssigen Dach des Bunkers standen seine Kinder und winkten ihm lachend zu. „Komm rauf, Papa! Da hinten geht es ganz einfach, da reicht die Düne fast bis zum Dach!“


TAG 1: "Wiederbelebt"

Eine Ausnahme bildet der 1. Oktober mit dem Stichwort "Wiederbelebt". Das habe ich, etwas frei interpretiert, zum Anlass genommen, endlich eine deutsche Fassung meiner englischen Kurzgeschichte "If We Returned" zu schreiben! Die englische Version ist im Rahmen einer englischsprachigen Flash-Fiction-Challenge entstanden.

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